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Wie PI dabei hilft, der Sonne ihre Geheimnisse zu entlocken

„Fusionsreaktor“ | „Göttliches Gestirn“ | „Juwel der Schöpfung“ – Wissenschaftler, Dichter und Mystiker haben unserem Tagesgestirn unzählige Namen verliehen. Neben höchstem Respekt summieren sich in all diesen Bezeichnungen auch die vielen noch ungelösten Fragen an die Natur unserer Sonne. Die Raumsonde >> Solar Orbiter hat sich im Februar diesen Jahres auf den Weg gemacht, um zumindest einige dieser Rätsel zu klären. Mit an Bord: eine Tip/Tilt Einheit von PI für den Sekundärspiegel eines der zentralen Experimente, dem Polarimetric and Helioseismic Imager (PHI).

„Ready for Take-off“ hieß es am 10. Februar 2020 um 05:03 Uhr MEZ auf dem Cape Canaveral AFS Launch Complex 41 für die Raumsonde Solar Orbiter. Das gemeinsame Projekt von der Europäischen Weltraumbehörde (ESA) und der NASA hat Untersuchungen zur Entstehung des Sonnenwindes und die zugrundeliegenden dynamischen Prozesse auf der Sonne zum Hauptziel. Vor wenigen Tagen hat die ESA nun erste Bilder veröffentlicht, die weltweite Beachtung gefunden haben und auch erste >> TV-Beiträge zeugen von dem großen Interesse.

Von den zehn unterschiedlichen Instrumenten an Bord ist der Polarimetric and Helioseismic Imager (kurz: PHI) des Max Plack Instituts für Sonnensystemforschung unter Beteiligung des Leibniz-Instituts für Sonnenphysik von besonderer Bedeutung. >> PHI soll Aufnahmen der Sonnenoberfläche (Photosphäre) im sichtbaren Licht liefern. Zudem soll das Instrument Stärke und Richtung der Magnetfelder sowie die Strömungsgeschwindigkeit des Plasmas an der Sonnenoberfläche bestimmen. Aus diesen Informationen erwartet man unter anderem Rückschlüsse auf die Plasmabewegungen im Innern der Sonne. Um Mikro-Vibrationen des Satelliten auszugleichen, ist ein ausgeklügeltes Bildstabilisierungssystem nötig. Die Lösung, für die sich die Wissenschaftler des Leibniz-Instituts entschieden haben, basiert auf einer Tip/Tilt Einheit von PI, die den 71 Gramm schweren, aus Zerodur gefertigten Sekundärspiegel des Teleskops bewegt.

Alle technischen Subsysteme, darunter auch die Tip/Tilt Einheit von PI, arbeiten problemlos.

Arne Bramigk, Hauptentwickler der Tip/Tilt Einheit bei PI, blickt auf eine rund zehnjährige erfolgreiche Entwicklungsarbeit zurück: „Die Tip/Tilt Einheit ist in vielerlei Hinsicht von großer Bedeutung für uns. So können wir heute mit Fug und Recht behaupten, dass unser System weltraumtauglich ist. Wer kann das schon? Das bedeutet nicht nur die Sicherstellung der Funktion bei extremen Temperaturunterschieden oder im Hochvakuum. Auch beispielsweise massive Belastungen aufgrund von hoher Beschleunigung während des Satellitenstarts müssen verkraftet werden.“ Doch allein schon die Grundanforderung an die Tip/Tilt Einheit zu erfüllen, stellte Bramigk und das Team vor höchste Herausforderungen. Auslenkung von ± 295 µrad, Bandbreite 300 Hz, Resonanzfrequenz (unter Last) von 1,3 kHz. „Dies war nur durch direktgetriebene Piezo-Kippspiegel erreichbar, die Mechanik ist komplett aus einer speziellen Titanlegierung gebaut. So haben wir in diesem Projekt sehr viel über Oberflächenbearbeitung gelernt und über FEM Modellrechnungen.“ erzählt Bramigk aus dem Nähkästchen – oder besser aus dem Designbaukasten der Entwickler.

Dr. Joachim Woch, Projektleiter PHI beim Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, freut sich über den erfolgreichen Start der Mission: „Die Inbetriebnahme von PHI im Weltraum ist erfolgreich beendet worden. Die ersten von PHI aufgenommenen Bilder von der Photosphäre der Sonne sind von hervorragender Qualität. Alle technischen Subsysteme, darunter auch die Tip/Tilt Einheit von PI, arbeiten problemlos.“

Über den unmittelbaren Nutzen hinaus sieht Bramigk mit der erfolgreichen Umsetzung künftiges Potenzial für PI in anderen Missionen, bei denen auch größere Stückzahlen gefragt sein könnten. Beispielsweise für die optische Kommunikation von Satellit zu Satellit oder von Satellit zum Boden.

Aktuell dürfen wir uns auf weitere spektakuläre Aufnahme unseres Sterns freuen – und auf zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Wissenschaftler daraus ziehen können.


PHI besteht aus zwei Teleskopen. Das sogenannte Full-Disk-Telescope beobachtet die ganze Sonnenscheibe bei geringer Winkelauflösung, während das High-Resolution Telescope (HRT) mit seiner Öffnung von 14 cm einen Ausschnitt der Sonnenoberfläche von 1000 x 1000 Bogensekunden untersucht.
Hier kommt die Bildstabilisierungseinheit zum Einsatz, um die in den wissenschaftlichen Anforderungen festgelegte Winkelauflösung von einer Bogensekunde und die erforderlichen polarimetrischen Genauigkeit zu erzielen. Unter normalen Bedingungen muss die verbleibende Bildbewegung zwischen den Aufnahmen bei unter 1/40 Bogensekunde liegen (1/20 eines Pixels des Sciencedetektors).




Über den Autor

Arne Bramigk

Stellvertretender Gruppenleiter Konstruktion und Simulation, Physik Instrumente (PI) SE & Co. KG

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Über den Autor

Markus Wiederspahn

Content Marketing Manager, Physik Instrumente (PI) SE & Co. KG

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